Throwback-Thursday: Was ist eigentlich…

Wer Nutzwertiges aufschreibt, hat dabei auch immer einiges zu erklären. Gerade die komplexen Angelegenheiten, haben mir immer Spaß gemacht, sei es bei Auktionen, Aktien, Fonds oder Wetterderivaten (plus Interview) sei es bei interessanten Betrügereien, vor denen wir uns hüten sollten. Eine meiner Lieblingsrubriken ist daher die nur für Erklärungen gedachte „Was ist eigentlich…?“ in brand eins, für die ich Anfang 2003 über Rentenpapiere schreiben durfte.

Was ist eigentlich…? Rentenpapiere

Wenn die Aktienmärkte zu Boden gehen, schlägt die Stunde der Rentenmärkte.
Zumindest für die Anleger. Sie finden Sicherheit plötzlich sexy.

– – – – Seit fast drei Jahren fallen die Kurse an den Aktienmärkten. Es hagelt Hiobsbotschaften. Doch alles ist relativ, auch schlechte Nachrichten von Konjunktur
und Aktienmärkten. Für die Rentenmärkte scheinen sie sogar erfreulich. Schließlich
muss das aus den Aktien abgezogene Geld irgendwohin. Am besten dorthin, wo es
sicher ist.

Also flüchten die Anleger in die Rentenmärkte, denn die versprechen Sicherheit. Schließlich heißen Rentenpapiere Rentenpapiere, weil die Anleger regelmäßig einen zuvor festgelegten Zins überwiesen bekommen. So, wie es sich für eine gute Rente gehört: pünktlich, sicher und berechenbar. Eine alte Börsenweisheit sagt: „Wer gut schlafen will, investiert in Rentenpapiere, wer lieber gut essen und trinken will, der sollte Aktien kaufen.“ Doch keine Chance ohne Risiko – auch mit den vermeintlichen Rentenpapieren kann man verlieren.

Für Staaten oder Unternehmen sind die Rentenmärkte der Teil des Kapitalmarkts, an dem sie sich mit Fremdkapital versorgen können – an Stelle eines größeren
Kredits bei einer Bank. Wer in Anleihen investiert, ist damit nicht Anteilseigner wie
bei der Aktie, sondern Gläubiger.

Wer sich in Deutschland über eine Anleihe Geld borgen will, braucht eine staatliche Genehmigung. Unternehmen ebenso wie Kommunen oder Bundesländer – nur die Bundesregierung kann frei walten. Seit dem 19. September 2000 begibt die Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur im Regierungsauftrag Rentenpapiere wie Bundesanleihen oder Bundesschatzbriefe. Die auf diese Weise angehäuften Schulden kratzen an der 20-Milliarden-Euro-Marke. Kreditinstitute legen Bankschuldverschreibungen und Pfandbriefe auf. Von der Industrie kommen Unternehmensanleihen oder Corporate Bonds.

Das Geld aus den Anleihen stecken die Unternehmen aber auch Staaten meist in
Investitionen. Banken und Versicherungen sichern sich an den Rentenmärkten aber
auch über Anleihen ab. Banken, indem sie etwa Kredite für Küchenzeilen, Autos oder
Reihenhäuser in Rentenpapiere verwandeln. Die Formel dafür lautet Asset Backed
Securities (ABS). Die Idee ist einfach: Die Bank verkauft ihre Kreditforderung an eine
eigens für ABS gegründete Zweckgesellschaft. Die legt eine Anleihe auf, die mit diesen Forderungen gedeckt ist. Das bedeutet, dass die Anleihe am Ende mit den Rückflüssen aus den fällig werdenden Forderungen getilgt wird. Der Vorteil für Banken bei einem solchen Deal: Sie schonen bilanztechnisch ihr kostbares Eigenkapital, weil die Kredite durch den Deal abgesichert sind, sie also weniger Eigenkapital für riskante Kredite hinterlegen müssen.

Versicherungen reichen große Risiken wie etwa Naturkatastrophen an die Rentenmärkte weiter. Diese Katastrophenanleihen – Catbonds genannt – laufen auf
bestimmte Ereignisse wie Taifune oder Erdbeben. Treten diese während der Laufzeit
ein, fallen Zinsen und Rückzahlung geringer aus. Mit dem Geld, das dadurch dem Anleger entgeht, bezahlen die Versicherer für die naturbedingten Schäden.

Für die Emittenten sind die Rentenmärkte aus mehreren Gründen attraktiv. Für die öffentliche Hand liegt der Reiz sicher nicht zuletzt darin, dass die hier aufgenommenen Schulden nicht in den regulären Haushalten auftauchen. Im Hinblick auf die Defizit-Kriterien des Maastricht-Vertrages können sie also nicht gefährlich werden.

Für Unternehmen zählt mehr die Unabhängigkeit von der Hausbank. Eingriffe
in die Unternehmenspolitik oder eine Kontrolle des Geschäfts über Aufsichtsratsmandate von Bankern lassen sich über die Rentenmärkte bequem umgehen. Dazu kommt, dass Anleihen meist günstiger sind als Kredite von der Bank und die geliehenen Beträge größer.

Um eine Anleihe auf den Markt zu bringen, durchläuft das Unternehmen eine ähnliche Prozedur wie beim Gang an den Aktienmarkt. Zunächst lässt es sich durch die Emissionsbank beraten. Dabei werden Höhe, Laufzeit und Verzinsung festgelegt,
und das Unternehmen muss sich einem Rating unterziehen, das die Rückzahlungswahrscheinlichkeit bewertet. Anschließend wird der Börsenprospekt erstellt und die Anleihe platziert. Das geht schon ab Beträgen von 250 000 Euro. Im Amtlichen Handel der Börse muss der voraussichtliche Kurswert dagegen bei mindestens 1,25 Millionen Euro liegen.

Neben dem Ergebnis des Ratings, das die Bonität bewertet, sind allerdings auch
die allgemeine konjunkturelle Lage und die Situation am Aktienmarkt für den Erfolg
einer Emission entscheidend. Ist die Stimmung schlecht, schaffen es auch Unternehmen mit Spitzenratings kaum, den Kapitalmarkt anzuzapfen. Die Anleger
warten ab, halten das Geld zusammen. Im vergangenen Jahr wurde eine Anleihe-
Emission nach der anderen verschoben, etwa die von Bertelsmann, dem schwedischen
Versorger Vattenfall, Volkswagen oder der Deutschen Post. Dazu kommt, dass die Rating-Agenturen die Bonität vieler Unternehmen schlechter bewerten als zuvor. Ericsson oder etwa Cap Gemini kostete das Punkte. Schulden am Rentenmarkt werden so für sie teurer.

Die Anleger zieht an den Rentenmärkten vor allem eins an: Dass sie sich ein wenig in Sicherheit wiegen können. Als Gläubiger tragen sie kein unternehmerisches Risiko – anders als Aktionäre. Konditionen wie Laufzeit und Verzinsung sind festgelegt. Am Ende der – ebenfalls festgelegten – Laufzeit gibt es den Nennwert der Anleihe voll zurück. Die Rendite ist dem Anleger also in aller Regel sicher. Das gilt auch für Zero-Bonds, bei denen die Zinsen erst am Ende der Laufzeit gezahlt werden. Allerdings gibt es auch Rentenpapiere, bei denen die laufenden Zinsen schwanken.

Anleihen werden an der Börse gehandelt, genau wie Aktien. Der Preis wird in Prozent vom Nennwert ausgedrückt, der am Anfang der Laufzeit bei 100 liegt. Das System unterscheidet sich also von dem der Aktie, bei der der Kurs etwa in Euro oder Dollar pro Stück angegeben wird. Über die vereinbarte Rendite hinaus sind auch bei Anleihen Kursgewinne – und -verluste – drin. Für Kursschwankungen bei Anleihen sorgen aber nicht wie bei Aktien Angebot und Nachfrage. Auch das allgemeine Zinsniveau wirkt sich aus.

Eine Anleihe mit sechs Prozent Nominalzins lockt bei einem allgemeinen Zinsniveau von zehn Prozent niemanden hinter dem Ofen hervor – zumindest nicht für den vollen Preis, eben weil es am Markt für andere Anleihen mehr Zinsen gibt. Statt für den vollen Nennwert von 100 kann man das Papier daher nun schon für 90 oder 95 Prozent kaufen. Je näher allerdings der Auszahlungstermin rückt, desto enger nähert sich der Kurs an den Nennwert heran. Schließlich werden die 100 Prozent voll zurückgezahlt, denn je kürzer die Restlaufzeit, desto eher bekommt der Anleger sein Kapital zurück und je geringer ist das Risiko größerer Kursschwankungen und Zinsveränderungen. Anders als bei Aktien spielen die Kursgewinne eine Nebenrolle: Bewegungen um wenige Prozentpunkte gelten bereits als extrem. Zu verachten sind die Schwankungsgewinne trotzdem nicht: Das Finanzamt kassiert dabei keinen Cent – im Gegensatz zu den Zinsgewinnen.

Ein Unternehmerrisiko tragen die Gläubiger bei ihren Anleihen zwar nicht, dafür das Risiko des Zahlungsausfalls. Wie groß das ist, zeigen die Bewertungen der beiden führenden Rating-Agenturen Moody’s und Standard & Poors. Als Faustregel gilt: Je höher das Risiko, desto höher die Gewinnchancen.

Anleihen mit der schlechtesten Bonität müssen besonders hohe Zinsen bieten, um das hohe Risiko eines Zahlungsausfalls wieder wettzumachen. Diese so genannten Junk-Bonds oder auch Ramsch-Anleihen kommen von Unternehmen, aber auch von zahlreichen Schwellenländern. Das Rückzahlungsrisiko ist durchaus real: Im ersten
Halbjahr vergangenen Jahres sind Unternehmensanleihen im Wert von insgesamt
76 Milliarden Dollar nicht bedient worden.

Eine zusätzliche Gefahr gehen Anleger ein, die ihr Geld in Anleihen ausländischer Währung stecken. Wenn es hart auf hart kommt, frisst ein hoher Währungsverlust die Rendite auf. Selbst eine Traumverzinsung von 36,9 Prozent – etwa bei der Anleihe eines Schwellenlandes – schnurrt zuweilen auf 1,6 Prozent zusammen, wenn der Währungskurs fällt. Mit dem Euro ist das Währungsrisiko zumindest für die europäischen Rentenmärkte weg.

So sicher, wie sie scheinen, sind die Anleihemärkte demnach nicht. Als trügerisch erwies sich die Sicherheit etwa für die Besitzer argentinischer Bonds: Das Land brachte die Zinsen für eine seiner Staatsanleihen nicht auf. Wegen der faktischen Insolvenz werden die Gläubiger auch aus einer weiteren Anleihe des südamerikanischen Staates ihr Geld wohl nicht wiedersehen. Das beweist: Verkaufsargumente wie das der konsortialführenden Banken, die die Anleihen mit folgendem Argument schmackhaft machten, sollten künftig nicht mehr ziehen: „Es ist noch kein Staat Pleite gegangen.“ – – – – – |