Throwback-Thursday: FTD 2002: Katastrophenanleihen

FTD Financial Times Deutschland vom 28.06.2002, Seite WE8, Weekend, Portfolio

Sturmtief in den Kassen

Mit speziellen Anleihen zur Katastrophenvorsorge zapft die Assekuranz den
Kapitalmarkt an

Im Januar vergangenen Jahres starben bei einem Erdbeben in El Salvador 845
Menschen, im indischen Gujarat fanden im selben Monat mehr als 14 000 Menschen
auf die gleiche Weise den Tod. Neben Industrie- und Gewerbebauten zerstörten
die Beben tausende Wohnhäuser. Insgesamt richteten Erdbeben im Jahre 2001
weltweit volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von 9 Mrd. $ an. Davon waren 900
Mio. $ versichert, das hat die Forschungsgruppe GeoRisiken der Münchener Rück
in ihrer Studie „topics“ festgestellt.

Stürme, Erdbeben und Überschwemmungen beherrschen die Statistiken der
Versicherer. Insgesamt 700 so genannte Elementarschadenereignisse haben
Geoforscher 2001 weltweit gezählt. Mehr als 25 000 Menschen starben bei
Naturkatastrophen. Die volkswirtschaftlichen Schäden lagen der Münchener Rück
zufolge mit 36 Mrd. $ etwa um ein Fünftel höher als im Jahr 2000.

Die Folge: Der Anteil der versicherten Schäden steigt seit Jahren
überproportional: von 7,5 Mrd. $ im Jahr 2000 auf 11,5 Mrd. $ im vergangenen
Jahr. Am teuersten kam die Branche der tropische Sturm „Allison“ zu stehen,
der im Juni im Süden der USA wütete und einen Schaden von 6 Mrd. $ hinterließ.
Bei Naturkatastrophen greift das Gesetz der großen Zahl nicht – von
Überschwemmungen oder Stürmen sind oft weite Landstriche betroffen. Und diese
sind zunehmend dicht besiedelt. Versicherer könnten also an ihre Grenzen
stoßen, warnen die Geoforscher der Münchener Rück und verweisen in diesem
Zusammenhang auf die Terroranschläge vom 11. September. „Ein zusätzliches
Größtschadenereignis im Bereich der Naturkatastrophen hätte die
Leistungsfähigkeit der globalen Versicherungswirtschaft auf eine harte Probe
gestellt.“

Die großen Gesellschaften reichen daher seit einigen Jahren ihre Risiken in
Form von Katastrophenanleihen an den Kapitalmarkt weiter. Zusätzlich zur
Absicherung durch Rückversicherungspolicen sollen diese so genannten Catbonds
das Risiko mindern. Die nach den Terroranschlägen erwartete Welle solcher und
anderer alternativer Risikotransferprodukte (ART) ist zwar ausgeblieben. Doch
der Markt wird wachsen, darin sind sich die Experten einig. Wenn auch vorerst
vor allem für institutionelle Investoren.

Aus Anlegersicht haben Catbonds vor allem einen Vorteil: Sie sind unabhängig
von den Bewegungen an den internationalen Aktien- und Rentenmärkten. Die
Verzinsung des verliehenen Kapitals richtet sich danach, ob bestimmte
Naturkatastrophen eintreten oder nicht. „Das Risiko ist dabei deutlich
niedriger als bei anderen Kapitalanlagen mit vergleichbaren Renditen“, haben
Andreas Müller und Cornelia Schäfer vom Geschäftsbereich Finanz der Münchener
Rück in ihren Untersuchungen herausgefunden. Als Vergleichsmaßstab werden
üblicherweise Wertpapiere mit einem B- oder BB-Rating, also Bonds mit der
Bonitätsnote Investmentgrade, herangezogen.

Als Pionier in Sachen Catbonds gilt die Hannover Rückversicherung, die 1994
den weltweit ersten Catbond namens Kover platzierte. Gleich zwei Anleihen
brachte die Münchener Rück Ende Januar 2002 an den Markt – mit 300 Mio. $ die
bislang größte Kapitalmarktdeckung gegen Naturkatastrophen. Bei dem einen
Papier richtet sich die Verzinsung des Kapitals nach der Höhe der Schäden, die
mögliche Hurrikane in den USA anrichten, bei dem anderen geben Erdbeben in
Kalifornien sowie Stürme in Europa und Nordamerika den Ausschlag. Bei der
US-bezogenen Anleihe wird das Kapital mit einem Spread von 650 Punkten über
der London Interbank Offered Rate (Libor) verzinst. Wer in den Catbond für
Europa investiert, bekommt 750 Punkte plus Libor – vorausgesetzt, die
Katastrophen treten nicht ein. „Kommt es aber dazu, kann der Anleger 20, 80
oder sogar 100 Prozent des eingesetzten Kapitals verlieren“, erklärt Beat
Holliger von der ART-Abteilung/Capital Markets der Münchener Rück. „Alles
hängt davon ab, wie viele der Ereignisse eintreten und in welcher Stärke.“ Mit
einem Prozent sei das Verlustrisiko bei beiden Anleihen aber äußerst gering.

„Ein Prozent bedeutet einmal in 100 Jahren.“

Für Stürme und Hurrikane hat die Münchener Rück zum ersten Mal exakte
Parameter festgelegt. Für die europäischen Stürme entwickelten die Fachleute
einen Indexwert aus Windgeschwindigkeiten bei 600 Wetterstationen in fünf
Ländern. Ein Hurrikan in den USA muss bestimmte Luftdruckwerte unterschreiten
und in genau festgelegte Küstenabschnitte der Großräume Miami und New York
eindringen, damit gezahlt wird.

Wie groß das weltweite Marktvolumen der Catbonds ist, darüber kursieren
unterschiedliche Zahlen. Als sicher gilt: Im Vergleich zum gesamten Bondmarkt
ist das Volumen verschwindend gering. Von 2,7 Mrd. $ auf bis zu 4 Mrd. $ werde
das Anleihevolumen bis Ende des Jahres steigen, schätzt Matthias Weber,
Catbond-Experte der schweizerischen Bank Leu. Nach Berechnungen der Münchener
Rück wurden seit 1994 insgesamt 57 Catbonds im Wert von mehr als 6,1 Mrd. $
gehandelt. „Es wird aber nicht jede Transaktion publiziert“, schränkt Holliger
ein.

„Selbst institutionelle Investoren brauchen lange, um die Risiken zu
kalkulieren“

Beat Holliger, Münchener Rück

Bislang können nur institutionelle Anleger direkt in Catbonds investieren.
Etwa die Hälfte davon sind nach Angaben von Müller und Schaefer
Vermögensverwalter, 40 Prozent entfallen auf Versicherungen.
Die New Yorker Börse hat 1996 ein Segment eingerichtet, in dem
Katastrophenanleihen gehandelt werden. Die damit einhergehende
Standardisierung ist eine Voraussetzung, um den Markt auch für Privatanleger
zu öffnen. Die können seit Januar dieses Jahres zumindest in der Schweiz in
Katastrophenanleihen investieren – über den ersten Catbond-Fonds, den die
Schweizer Bank Leu aufgelegt hat.

In Deutschland ist der Fonds noch nicht für den öffentlichen Vertrieb
zugelassen. Das wird sich in spätestens vier Wochen ändern. Dann werden
Privatanleger das Schweizer Produkt als so genannten grauen Fonds kaufen
können. Bei diesen Fonds müssen Investoren allerdings oft mit steuerlichen
Nachteilen rechnen. „Nach Einschätzung unserer deutschen Anwaltskanzlei wird
es keine steuerlichen Nachteile geben“, betont Peter Grünblatt, Leiter der
Abteilung Alternative Anlage der Bank Leu.

Der „Leu Prima Cat Bond Fund“ kommt zurzeit auf ein Volumen von rund 120 Mio.
$ und investiert in 22 Anleihen. „Mit Catbonds oder entsprechenden Fonds als
Beimischung lässt sich das Gesamtrisiko eines Aktien- und Rentenportefeuilles
reduzieren“, sagt Fondsmanager Bruno Wicki.

Bei deutschen Fondsgesellschaften wie DIT oder Union Investment ist die
Skepsis gegenüber Katastrophenanleihen noch groß. Mit herkömmlichen Methoden
seien Catbonds kaum zu bewerten, lautet ein Kritikpunkt. Ein zweiter betreffe
die mangelnde Liquidität. Als Direktanlage seien Katastrophenanleihen für
Privatanleger daher nicht geeignet. „Selbst institutionelle Investoren
brauchen lange, um die Risiken zu kalkulieren“, räumt auch Beat Holliger von
der Münchener Rück ein. „Für private Investoren ist das nahezu unmöglich.“

Nachtrag:

Noch heute werden solche Cat Bonds an den Märkten gehandelt. arte hat eine Reihe über „Planet Finance“ gebracht, in der diese Folge Teil 3 und sehenswert ist.

https://youtu.be/Mrpr0hRdRT0