Throwback-Thursday: Pieks gegen Krankheiten in GEOlino 2005

Mal eine persönlichere Geschichte: Wer ein Kind bekommt, befasst sich in aller Regel erstmals bewusst mit dem Thema Impfung. Das war auch bei mir so, als meine Tochter 2004 auf die Welt kam. Ein wichtiger Grund für meine damalige Recherche.

Hintergrund: Ich hatte bis dahin tatsächlich keine Ahnung davon gehabt, dass es Bedenken gegen Impfungen geben könnte. Die hab ich – damals wie heute wieder übrigens – für eine der großartigsten Erfindungen der Menschheit gehalten. Gleichauf mit Rad oder Schokolade.

Aber es gab diverse Bedenken und auch diverse mögliche Überlegungen damit umzugehen, wie ich von Mütterkolleginnen damals erfuhr. Und das wollte ich natürlich gern genauer wissen. Man will ja nur das Beste für sein Kind.

Also hab ich GEOlino angeboten, mal nicht über Wellensittiche, Esel, Kängurus oder Geld zu schreiben, wie sonst bis dahin, sondern über Impfungen. Ich bin dankbar, dass das auf Interesse stieß. Und dankbar bin ich auch den Experten, die mir damals und zuvor auch in meiner Ausbildung bei einem Feature zum Thema Immunsystem mal geduldig erklärt haben, was ich wissen wollte.

Ich hab die Geschichte guten Gewissens geschrieben und auch meine Kinder guten Gewissens impfen lassen. War dann für längere Zeit erstmal der letzte Ausflug ins Medizinische, bis vor wenigen Jahren

Pieks gegen Krankheiten

Viele Krankheiten sorgten früher für Angst und Schrecken – bis Wissenschaftler Impfstoffe gegen sie entdeckten. Heute gibt es viele der alten Seuchen nicht mehr – trotzdem können wir nicht mit dem Impfen aufhören.

James zuckt zusammen. Ein Blutstropfen rinnt seinen rechten Arm hinab, wo der britische Landarzt Edward Jenner ihm mit einer Elfenbeinklinge die Haut aufgeritzt hat. In die Wunde schmiert Jenner nun infektiösen Eiter aus Pockenbläschen. Einige Tage bangt die Familie. Wird der kleine James ernsthaft krank? Vielleicht gar sterben? Zur Erleichterung aller bleibt das Kind gesund. Dank der ersten Impfung der Medizingeschichte sechs Wochen zuvor.

Da nämlich, am 14. Mai 1796, hatte Jenner den achtjährigen James Phipps mit Kuhpocken aus dem Eiter einer erkrankten Melkerin infiziert. Diese Variante des Pockenvirus führt beim Menschen zu einer leichteren Form der Erkrankung. Und lässt ihn immun gegen die gefährlichen Pocken werden – das jedenfalls war Jenners Theorie.
Sein Experiment bewies, dass er recht hatte.

Für damalige Verhältnisse war es allerdings ziemlich tollkühn. Denn die Pocken waren zu der Zeit die schlimmste Seuche. In Europa steckten sich rund 40 Millionen Menschen an. Etwa jeder dritte von ihnen starb. Wo die Seuche hinkam, verbreitete sie Schrecken. Sein neues Verfahren nannte Jenner Vakzination. Vacca ist lateinisch und bedeutet Kuh. Das Prinzip dieser aktiven Schutzimpfung blieb bis heute gleich.

In der Wissenschaft gilt Jenner als Begründer der Immunologie, der Lehre vom Abwehrkampf des menschlichen Körpers. Er bewies, dass Impfungen Krankheiten verhindern, konnte aber nicht erklären warum. Das gelang mehr als 100 Jahre später dem deutschen Mediziner Emil von Behring.

In die Medizingeschichte ging Behring 1893 als „Retter der Kinder“ ein, nachdem er ein Serum gegen die Diphterie entwickelt hatte. Im 19. Jahrhundert wurde die Diphterie als „Würgeengel der Kinder“ bezeichnet. Allein in Deutschland starben jährlich etwa 50.000 Kinder. Behring entdeckte, dass nicht die Bazillen Schaden anrichten, sondern die von ihnen produzierten Gifte. Gegen sie entwickelt er ein Serum – nach der aktiven war damit auch das Prinzip der passiven Immunisierung entdeckt.

Zahlreiche Krankheiten verloren durch den Pieks ihren Schrecken: Grippe, Masern, Tetanus, Tollwut. Gefährliche Kinderkrankheiten wie Diphterie oder Kinderlähmung sind hierzulande fast ausgestorben. Das heißt aber nicht, dass Ärzte nun mit dem Impfen aufhören.

Schließlich kann es vorkommen, dass ein Tourist oder Einwanderer eine solche Krankheit einschleppt. „Und in einer ungeimpften Kindergeneration kann schon ein Erkrankter leicht eine Epidemie auslösen“, erklärt Professor Bernhard Fleischer vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, der im Oktober bei der Hamburger Kinderuni einen Vortrag zu Impfungen hält.

Gegen manche Krankheiten gibt es bis heute keinen Impfstoff, etwa gegen den häufigsten Erreger für grippale Infekte bei Säuglingen und Kleinkindern – das so genannte Respiratory Syncitial Virus (RSV). Der Impfstoff schützte nicht nur nicht vor der Krankheit. Diese verlief zudem schwerer, als bei nicht Geimpften.

Um ein solches Fiasko zu verhindern, durchlaufen mögliche Impfstoffe strengste Tests. Sie müssen wirksam sein und dürfen fast keine Nebenwirkungen verursachen. „Schließlich geben wir Impfstoffe an Gesunde“, begründet Professor Fleischer. „Im Gegensatz zu Medikamenten.“ Mehr als eine leichte Rötung an der Einstichstelle sowie erhöhte Temperatur sind daher als Nebenwirkung nicht erlaubt.

Die strengen Vorgaben erfüllt im Schnitt nur einer von 1000 Wirkstoffen. Um herauszufinden welcher, wagen die Ärzte keine solch riskanten Experimente mehr, wie damals Jenner an dem kleinen James Phipps.

Heute testen Mediziner erst die Reaktion von Immunzellen unter dem Mikroskop und machen Tierversuche. Dann folgen Tests an erwachsenen Freiwilligen. Nur wenn alles glatt läuft, werden auch Kinder geimpft.

Kasten So funktionieren Impfungen

Ständig sind wir von Bakterien, Viren oder anderen Eindringlingen umgeben. Wird der Körper mit einem solchen Erreger konfrontiert, entwickelt er Antikörper. Hergestellt werden diese von den so genannten B-Zellen oder Gedächtniszellen. Sie sind die Spezialtruppe des Immunsystems, die eine Art Steckbrief bestimmter Erreger mit sich herumtragen – wie ein Schlüsselloch, das auf den passenden Schlüssel wartet.

Um ihre Waffen aufzufahren, braucht die Spezialtruppe allerdings ein paar Tage. Schließlich müssen die Zellen erst lernen, den Krankheitserreger zu erkennen. Erst dann vermehren sie sich und machen ihn unschädlich. Ist ein Erreger aber erst einmal bekannt, funktioniert die Abwehr zügig: Selbst aggressive Erreger kommen oft nicht mehr dazu, die Krankheit auszulösen – der Körper ist immun.

Bei der Aktiv-Impfung werden dem Körper vorbeugend abgeschwächte oder getötete Erreger gespritzt, die dafür sorgen, dass sich Zellen teilen und Antikörper bilden.

Bei der Passiv-Impfung – oft nach einer Infektion – bekommt der Körper dagegen gleich die Antikörper. Diese machen den Erreger unschädlich, ohne dass das Immunsystem die Waffe selbst entwickeln muss. Der Schutz hält dafür auch nicht so lange, wie bei einer Aktiv-Impfung.

Die Impfung schützt dabei nicht nur den Geimpften, sondern senkt die Ansteckungsgefahr auch für ungeimpfte Mitmenschen. Denn Geimpfte werden nicht nur nicht krank, sondern geben Erreger auch nicht weiter.

Wie jede Spezialtruppe, brauchen auch die Gedächtniszellen Training – in Form einer gelegentlichen Auffrischungsimpfung. Bevor es Impfungen gab, bestand das Trainingslager aus der gelegentlichen Neuansteckung bei den eigenen Kindern oder Enkelkindern. Hiervon bekam der Mensch keinen Pieks mit. Dafür musste er die Krankheit auch einmal durchmachen.

erschienen im September 2005 in GEOlino.

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