„Sturmwarnung für die Weltmärkte“ in der Zeit

Turbulenzen im globalen Handel treffen nicht nur Exporteure, sondern auch deren mittelständische Lieferanten. Da hilft eine Warenkreditversicherung.

Albèrt Evers läuft beim Gedanken
an Eiscafés und Bäckereien nicht
das Wasser im Mund zusammen.
Für ihn ist das in erster Linie Arbeit
– und manchmal Grund zur
Sorge. Der Geschäftsführer der
Evers Food Ingredients GmbH
aus Goch nahe der niederländischen Grenze versorgt
mit seinen 50 Mitarbeitern diese Geschäfte, aber auch
Großhändler in ganz Europa mit Schokoladenrohwaren.
Die machen daraus Kakaopulver, Schokoladeneis
und -sauce und andere Leckereien. 35.000
Euro kostet ein Kilogramm hoch konzentrierte
Paste – eine Ware von Wert. Allerdings: Die Zahlungsmoral
der Abnehmer unterscheidet sich erheblich
voneinander. Deswegen nutzt Evers eine Warenkreditversicherung,
um sich vor Ausfällen zu schützen.

»Rechnungen von bis zu 1500 Euro nehmen wir
auf unsere Kappe«, sagt Albèrt Evers. Auch Forderungen
an große und namhafte Abnehmer reicht er nicht
weiter. Aber: »Für die erste Rechnung an einen neuen
Kunden nehmen wir immer Vorkasse.« Produziert
wird erst, wenn das Geld da ist. Bei den Eisdielen prüft
Evers die Bonität grundsätzlich selbst und greift nötigenfalls
auf ein Inkassounternehmen zurück. Liegt der
Rechnungsbetrag aber über 1500 Euro, reicht Evers
sie an seinen Warenkreditversicherer weiter. Eine gute
Entscheidung: »Im vergangenen Jahr hatten wir einen
Ausfall, nachdem eine Großbäckerei in die Insolvenz
gegangen war«, berichtet er. Für die 25.000 Euro
Forderungsausfall sprang der Versicherer ein.

Es sind nicht die Banken, die Unternehmen am
meisten Kredit geben – es sind andere Unternehmen,
die als Zulieferer fungieren. Knapp anderthalb Milliarden
Euro haben Banken und andere Finanzinstitute
im vergangenen Jahr an Firmendarlehen vergeben.
Das Geld, das Unternehmen ihren Lieferanten schulden,
summierte sich laut Wirtschaftsauskunftei Creditreform
hingegen auf stolze 66 Milliarden Euro – und
das allein im zweiten Halbjahr 2018.

Die Kunden reizen diese sogenannten
Lieferantenkredite
aus – und überziehen auch mal
gern. Die Zahlungsfrist, die Zulieferer ihren Abnehmern
einräumten, lag Creditreform zufolge im
Schnitt bei etwas über 31 Tagen. Bezahlt wurde
durchschnittlich noch mal rund zehn Tage später.
Die schlechte Zahlungsmoral und die Zahl der
Insolvenzen, die erstmals seit 2014 wieder steigt, verstärkt
die Sorge vor Zahlungsausfällen. Und auch der
Weltmarkt ist unsicherer geworden. Währungskriege,
Strafzölle und Handelsbarrieren, Unwägbarkeiten wie
ein harter Brexit oder eine drohende Bankenpleite in
Italien haben das globale Geschäft auch für Mittelständler
riskanter gemacht. Der Warenkreditversicherer
Coface rechnet mit einer steigenden Zahl von
Firmeninsolvenzen in 26 von 39 untersuchten Ländern,
2018 waren es erst 19. Während also deutsche
Mittelständler exportieren wie nie zuvor, steigen die
Risiken – und damit der Wunsch nach Absicherung.

Denn kommt es wirklich zu Ausfällen, leiden nicht
nur die Exporteure, sondern auch deren Lieferanten.

So ist es nicht überraschend, dass immer mehr
Warenkreditversicherungsverträge abgeschlossen werden,
44.000 im vergangenen Jahr. Der versicherte
Umsatz stieg von gut 350 auf 424 Milliarden Euro.
Wie viele davon von Mittelständlern abgeschlossen
wurden, dazu gibt es allerdings keine Zahlen, nur
Expertenschätzungen. »Das Risikobewusstsein selbst
bei ehemals beratungsresistenten Kunden wächst«,
sagt Frank Otto, Geschäftsführer der Maklergesellschaft
VIA Delcredere. Die Nachfrage befeuert, dass
Warenkreditversicherer jetzt spezielle KMU-Policen
für kleinere und mittlere Unternehmen und flexibel
zubuchbare Services anbieten, etwa Policen
für Kleinbetriebe, Handwerker, Speditionen, die
Energie- und Nahrungsmittelbranche oder auch
die von jeher schwierige Baubranche.

So sichert Thomas Schulte, Leiter Kreditmanagement
der Henrich Baustoffzentrum GmbH
& Co. KG, die Forderungen über eine speziell auf
die Baubranche zugeschnittene Police ab. »Das sind
alles hervorragende Handwerker«, sagt Schulte über
seine Kunden. »In einigen Fällen kommt jedoch das
Kaufmännische zu kurz.« Dass das bei seinem seit
2013 vom TÜV Rheinland für das Kreditmanagement
zertifizierten Unternehmen anders ist, zahlt
sich nicht zuletzt bei der Warenkreditversicherung
aus. Deswegen kann Schulte selbst Entscheidungen
über Kreditlimits fällen und in Eigenregie pauschal
absichern – bis 50.000 Euro. Wird es mehr, kommt
der Versicherer ins Spiel.

Schulte schätzt das hohe Maß an Selbstbestimmung.
Und dank des ausgefeilten Kreditmanagementsystems
gelang es ihm, die Forderungslaufzeit
innerhalb von zehn Jahren von 42 auf weniger als
20 Tage zu reduzieren. »Wir konnten auch einen
großen Teil unserer Ausschlüsse aus der Zeit der
Finanzkrise wieder einbinden«, sagt er. Steht ein
vormals riskanter Kunde wieder besser da und sind
so wieder höhere Umsätze abgesichert, lässt der
Warenkreditversicherer ihn das wissen. Das ist im
Service inbegriffen.

Die gestiegene Nachfrage beruht also auch darauf,
dass die Absicherung günstiger und passgenauer
zu haben ist als früher. Früher griff das
auch Delkredereversicherung genannte Instrument
meist nur bei Ausfällen wegen Insolvenz.
Heute decken die Policen längst standardmäßig
auch sonstige Forderungsausfälle ab. Selbst Forderungen,
denen der Schuldner widerspricht,
lassen sich absichern. Die Summen reichen von
wenigen Tausend bis zu mehreren Millionen
Euro. Unternehmer können wählen, ob sie ihren
gesamten Umsatz versichern – vor einigen Jahren
noch Pflicht – oder nur einen Teil. Die Prämie
berechnet sich in Promille vom versicherten Umsatz,
allerdings schwanken die Konditionen der
wenigen Anbieter stark. Bei ausländischen Kunden
etwa liegen die Selbstbehalte bei bis zu 40
Prozent. Unternehmer sollten daher unbedingt
mehrere Angebote einholen.

Auch kleineren Mittelständlern kann eine
Warenkreditversicherung von Nutzen sein, was
die Anbieter gern betonen: »Im Mittelstand kann
bereits ein Forderungsausfall zum Existenzproblem
werden«, sagt Frank Liebold, Country
Manager Deutschland der Atradius Kreditversicherung.
»Jede dritte Insolvenz ist aufgrund des
gefürchteten Dominoeffekts eine unverschuldete
Folgeinsolvenz«, hebt Klaudia Nietsch hervor,
Gruppenleiterin Delkredere-Kreditprüfung bei
der R+V Versicherung AG.

»Das Argument ›Der Kunde hat mich noch
nie im Stich gelassen‹ zieht heute nicht mehr«,
sagt der Makler Otto. Er überzeugt seine exportierenden
Beratungskunden gern von einer wenigstens
länderbezogenen Abdeckung. »Unsere
Kunden sind heute auch zunehmend bereit,
selbst Forderungen ehemals sicher scheinender
Konzerne abzusichern.«

Dazu »greifen wir online auf alle Wirtschaftsauskunfteien
sowie diverse andere Quellen mit
Informationen wie etwa Bilanzen zu versicherten
Abnehmern zu sowie auf Länder- und Brancheninformationen
«, berichtet Atradius-Deutschland-
Chef Liebold. Auch Zahlungserfahrungen von
anderen versicherten Lieferanten fließen in die
Bonitätsprüfung mit ein. Selbst künstliche Intelligenz
spielt bei der Prüfung bereits eine Rolle.
Liebold sagt: »Wir bekommen so praktisch auf
Knopfdruck ein gutes Bild davon, wie der Abnehmer
eines Kunden dasteht.«

Das klingt alles sehr professionell – dabei dürften
die ersten Erfahrungen vieler Mittelständler mit
Warenkreditversicherern eher unangenehm gewesen
sein. Denn vor gut zehn Jahren, in der
Folge der Finanzkrise, kappten Warenkreditversicherer
flächendeckend und ganz kurzfristig die Kreditlinien, sobald die Bonität eines Kunden
sich verschlechterte. »So kurzfristig wie in der Finanzkrise
findet eine Limitreduzierung oder
-aufhebung heute nicht mehr statt«, verspricht
Liebold. Denn ebenfalls mittlerweile Standard bei
Warenkreditversicherungen ist die sogenannte
Nachlaufdeckung. »Wenn wir aufgrund unseres
Credit-Checks akute Bedenken bezüglich der Zahlungsfähigkeit
eines Abnehmers haben, teilen
wir das unserem Kunden mit, und der hat dann in
der Regel noch 30 Tage Zeit, bevor sich an den
Limiten etwas ändert«, berichtet Liebold. Außer es
ist Gefahr im Verzug: »Wenn wir beispielsweise
wissen, dass der Abnehmer unseres versicherten
Kunden am nächsten Tag zum Amtsgericht geht,
um Insolvenz anzumelden.«

Mittelständler Evers ist froh über diese gründlichen
Prüfungen. Er verlässt sich auf seinen Versicherer,
der bei hohen Rechnungsbeträgen oder
hohem Risiko sein Okay gibt – oder vor dem
Geschäft warnt. »Dann können wir immer noch
Vorkasse fordern«, sagt Evers. »Das fordern unsere
Lieferanten von uns ja auch.«

Axel Müllers ist da etwas entspannter. Aber sein
Geschäft ist auch ein anderes. Von Monheim am
Rhein aus liefert der Einzelkaufmann Raucherbedarf
wie Blättchen, Filter und Feuerzeuge an
Abnehmer in ganz Europa. 85 Prozent davon ins
Ausland. Müllers ist durchaus risikobewusst: Vor
Lagerbrand oder Lkw-Diebstählen schützen den
Unternehmer Wareninhalts- und Warentransportversicherung.
Die Haftpflichtversicherung ist für
ihn sowieso selbstverständlich. Und seinen gesamten
Umsatz sichert er seit zehn Jahren ebenfalls über
eine Warenkreditversicherung ab. Bis zu einer
Summe von 25.000 Euro entscheidet er selbst, Beträge
darüber prüft die Versicherung. »Ich fand die
Flexibilität super, als ich die Police vor zehn Jahren
abgeschlossen habe«, sagt Müllers. Das sei ein vernünftiger
Schutz, auch wenn er nicht ganz billig sei.

Einen Schaden hatte er bislang nie zu melden.
Aber eben erst hat sein Versicherer für die Kunden
in Großbritannien und Italien die Selbstbehalte
von einheitlich 10 auf 40 Prozent erhöht.
Müllers versteht die Gründe zwar, aber er macht
sich weder Sorgen, noch ändert das für ihn etwas
gegenüber den davon betroffenen Kunden. »Das
ist kein Thema, da ich alle meine Kunden seit
Jahren bestens und auch persönlich kenne«, sagt
er. »Ich weiß, dass ich mich auf die verlassen
kann, und wir sprechen auch offen über Probleme
– die ja immer mal vorkommen können.« Er
ist guten Mutes, auch weiter keine Ausfälle hinnehmen
zu müssen. »Geraucht wird immer«,
sagt er. »Gerade in schlechten Zeiten.«

erschienen am 27. Juni 2019