Throwback-Thursday: Branchengeschichten

Ein paar Jahre lang war ein wichtiger Teil meiner Arbeit, Branchen im Auge zu behalten, insbesondere deren mittelständischen Teil. Neulich habe ich eine 5-teilige pdf-Reihe zu wichtigen Branchen bei mir wiedergefunden, die ich für heute.de verfasst habe. Diese finden Sie weiter unten. Und für Markt und Mittelstand habe ich ein paar Jahre lang regelmäßig Branchengeschichten geschrieben. Daraus hier heute im Volltext passend zum Oktoberfest den Beitrag über mittelständische Brauereien, erschienen im Mai 2004.

Den Markt aufschäumen

Auf den Biermarkt kommen dürre Zeiten zu. Das Damoklesschwert des Brauereiensterbens schwebt über der Branche. Doch es gibt Strategien, mit denen kleine und mittlere Brauereien sich auch in Zukunft behaupten können.

Einen Ekelzuschlag muss auf den Tresen legen, wer in der Bonner Kölsch-Kneipe „Zone“ Kölsch mit Cola bestellt. Einen „Drecksack“, wie die Kölner sagen. Dabei schmeckt Cola in jeder Art von Bier vielen Menschen. Ebenso Zitronenlimonade, Waldmeistersirup oder Tequila. Viele Brauereien bieten daher neben den Hausmarken seit einiger Zeit fertige Mixgetränke an. Damit umwerben sie die jungen Kunden. Nicht von ungefähr: „Wenn zehn Leute sterben, sind sieben bis acht Biertrinker darunter“, weiß Rudolf Böhlke von der Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft AG in Stuttgart. Und der Nachwuchs greift lieber zu Cocktails oder so genannten Alcopops. Doch auch die Bier-Mixgetränke kommen an.

Allein mit Radler oder Waldmeisterweizen kommt die Branche ihren Absatzproblemen nicht bei. Zu pessimistisch sind die Prognosen, zu umfassend die Krise. Um ein Drittel werde der Absatz bis 2015 sinken, prognostizieren Böhlke und seine Mitautoren in der Studie „Brauereien 2015: Wege aus der Krise“. „Wer sich nicht bewegt, hat schon verloren“, ist Erich Dederichs vom Deutschen Brauer-Bund e.V. in Bonn überzeugt. Gutes Bier allein reiche nicht mehr. Überleben wird nach Einschätzung der Experten nur, wer eine Nische besetzen kann: als regionaler oder lokaler Premium-Brauer, mit einem Gastronomiekonzept oder als Partner bei der Abfüllung oder im Vertrieb.

Seit Jahren sinkt die Zahl der Liter Bier, die die Deutschen jährlich herunterspülen. Von 1970 bis 1992 waren es laut Brauer-Bund in jedem Jahr mehr als 140 Liter pro Person. Im Jahr 2003 schluckten die Bundesbürger im Schnitt 118 Liter. Mit neuem Wachstum rechnet Böhlke nicht. Die Deutschen trinken nicht nur weniger Bier – für 2015 geht er von weniger als 100 Litern pro Kopf aus. Zudem schrumpfe bis dahin die Bevölkerung um zwei Millionen. „Allein dieser Rückgang bedeutet etwa 2,5 Millionen Hektoliter weniger Bierausstoß für den deutschen Markt”, hat er errechnet – mit 79 Millionen Hektolitern ein knappes Drittel weniger als heute.

Die zersplitterte Branche steht vor der Konsolidierung. Öffentlichkeitswirksam drängen seit 2001 ausländische Großbrauereien auf den Markt, wie im Januar die Carlsberg Breweries A/S aus dem dänischen Kopenhagen. Die messen ihren Ausstoß in Millionen Hektolitern. 1268 Davids und ein halbes Dutzend Goliaths – so sieht es aus. Die saftigsten Brocken sind seit kurzem verteilt – die Brau und Brunnen AG in Dortmund ging im Februar an die zur Oetker Nahrungsmittel KG in Bielefeld gehörende Radeberger Gruppe AG in Frankfurt.

Doch der Verteilungskampf geht weiter. „Zwei Drittel der klassischen Brauereien werden bis 2015 nicht überleben”, orakelt Böhlke. Es werde dann immer noch rund 1100 Brauereien geben, gesteht er zu. „Aber 900 davon werden reine Gastro-Brauereien sein, mit weniger als 5000 Hektolitern.” Von den etwa 530 mittelgroßen Brauereien mit mehr als 5000 Hektolitern würden nur cirka 200 Betriebe überleben. „Die übrigen werden aufgeben müssen”, erwartet er, „oder sie schließen sich zu größeren, konkurrenzfähigen Einheiten zusammen.” Erich Dederichs widerspricht: „Es ist genug Platz für alle da.” Bauer schließt sich dagegen Böhlkes Einschätzung an: „Die mittleren Betriebe sind zu groß für die Nische und zu klein, um ein Player sein zu können.” Die kleinen Brauereien würden nicht so angegangen, weil sie klein und lokal begrenzt anbieten, ist er überzeugt. Für sie sehen die Experten Chancen im oberen Preissegment. „Darin, das Salz in der Suppe zu sein”, formuliert es Bauer.

Wie die Kölner Brauerei Gaffel Kölsch GmbH. Jedes vierte in Köln gezapfte Kölsch stammt nach Brauereiangaben von Gaffel. Bundesweit belegt die Brauerei beim Fassbier mit 320.000 Hektolitern den sechsten Platz und im Handel mit 15,3 Prozent den dritten Rang. Zuletzt landete der lokale Premium-Brauer einen Coup beim Kampf um junge Kunden – anders als viele Mitbewerber nicht mit Mixgetränken. Sondern als erste Kölsch-Brauerei mit einem obergärigen Bier, das kein Kölsch ist: der Marke „1396”.

Entwickelt wurde das Bier zum 600. Jubiläum der ersten Kölner Stadtverfassung 1996. „Seither gab es 1396 jährlich ab dem 14. September”, erklärt Marketingleiter Georg Schäfer. „Gebraut wurde immer nur eine Sud.” Das sind 400.000 Halbliterflaschen. Bis vor einem Jahr. Zuvor hatte man bei Gaffel darüber nachgedacht, wie man die Marke verjüngen könnte. “Natürlich ging es dabei auch um Mixgetränke”, erinnert sich Schäfer. „Aber wir sind nun mal 100-prozentige Brauer”, sagt er, „und deswegen brauen wir 100 Prozent Bier.”

Die Marke – damals hieß das Gebräu noch „Gaffel 1396” – wurde mit einem Thermo-Etikett aufgehübscht und das Bier fortan das ganze Jahr gebraut. Klassische Werbung macht Gaffel für 1396 nicht. „Zusätzlich zu der Promotionseite im Internet gehen wir gezielt an die Gastronomie und vor allem die Szene-Lokale heran”, sagt Schäfer.

Die Wirte wurden vom Erfolg des Biers überrascht. Die 2002 zur besten Cocktail-Bar der Region gewählte Ringbar verkauft täglich zehn Kästen. “Normalerweise geht Bier hier gar nicht”, ließ der Besitzer die Brauer wissen. Das Museum Ludwig schickte ein Dankesschreiben – zur Langen Nacht der Kölner Museen verkaufte es 5000 Flaschen.
Als Erfolgsrezept betrachten die Kölner ihre Haltung: „Wenn schon, dann richtig’ – das ist unsere Devise”, sagt Schäfer. Nicht nur beim Brauen, auch bei Produktstrategie, Werbung und Marketing. Es ist wohl kein Zufall, dass die Brauer die Ergebnisse einer Marktstudie konsequent zu einer Psychologie des Bieres weiter dachten. Und ihrer Markenstrategie zugrundelegten.

Einen anderen Weg, die Marke zu stärken, geht die Privatbrauerei Moritz Fiege GmbH in Bochum. Mit rund 150.000 Hektolitern ist Fiege kleinster regionaler Anbieter im Ruhrgebiet. Das Familienunternehmen wollte sich von der regionalen Konkurrenz und der Übermacht der oft als Fernsehbiere bezeichneten Pilsmarken abgrenzen. Seit April 2002 werden nun die Hauptsorte Pils und die fünf restlichen Sorten in Bügelflaschen gefüllt – statt wie bisher in den so genannten NRW-Flaschen mit Kronkorken.

Der radikale Schritt war umstritten. Aus technischen Gründen musste die Brauerei voll umstellen. „Und das ist ein nicht unbeträchtliches Risiko”, gibt Hugo Fiege zu bedenken, mit Bruder Jürgen geschäftsführender Gesellschafter. “Kästen, Maschinen, Etiketten und natürlich die Werbung – alles musste umgestellt werden.” Auch die Abfüllung wurde teurer. Und ob die Kunden das neue Gebinde auch kaufen, konnte man nicht einfach testen. Bereut hat die Umstellung im Haus bislang niemand. “Wir haben seither ein zweistelliges prozentuales Wachstum”, freut sich Fiege. Und das, obwohl die Neuerung mit einem höheren Preis einherging – und der Absatz vorher stagnierte.
Regional oder lokal erfolgreiche Brauer könnten ihre Position auch mit Dienstleistungen stärken, schlägt Böhlke vor – etwa in der Gastronomie. „Bier braucht Heimat, heißt es ja immer”, sagt er. „Aber die kann auch in einem Lokal zu finden sein.” Ein Franchisekonzept für eine Gastronomiekette hat die Kloster Andechs Gastronomie AG im bayrischen Andechs auf die Beine gestellt, eine 50-prozentige Tochter der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs, einer Körperschaft öffentlichen Rechts.

Seit dem Jahr 2000 haben die Andechser zehn Wirtshäuser eröffnet: in Augsburg und Goslar und zuletzt Anfang März in Wiesbaden. Der Andechser Weißwurstäquator liegt nun bei Bremen. Jedes Jahr kommen zwei bis fünf Lokale hinzu. Eine Zeitschrift sprach schon von „Mc Benedikt”. Der Vergleich hinkt, meint der Vorstand der Gastronomie AG Rainer Staiger. „Allein, weil jedes Wirtshaus in einem historischen – und damit einmaligen – Gebäude untergebracht ist”.

Die Andechser sehen sich als Wirtshausfamilie – weniger als Gastronomiekette. „Obwohl wir das natürlich sind”, sagt Staiger. Franchisenehmer und Mitarbeiter verstehen sich als Botschafter und Repräsentanten des Klosters Andechs. Es gibt Schulungen und Informationsmaterial zu Geschichte und Tradition des Klosters. Einmal im Jahr treffen sich die Wirtshausmanager auf dem Heiligen Berg und alle drei bis sechs Monate an einem anderen Ort.

„Natürlich verstehen wir uns auch als Botschafter des guten Bieres”, betont Staiger. Die Mahlzeiten werden auf traditionelle Art zubereitet – dabei orientieren sich die Küchenchefs am Kirchenjahr. Bei der Einrichtung sind die Wirtshäuser dem Vorbild des Bräustüberl am Heiligen Berg nachempfungen – im Sinne der Corporate Identity. Es gibt keinen Tresen und die Ahorntische sind extra groß. „Bei uns finden Sie problemlos Platz für Gruppen von 15 oder 20 Leuten”, beschreibt Staiger. Aber im Gegensatz zum „Bräustüberl” beenden die „Andechser” den Ausschank nicht schon um 20 Uhr.
„Viele unserer Gäste waren schon in Andechs”, weiß Staiger. Und suchen die Atmosphäre benediktinischer Gastfreundschaft. „In Andechs bekommen die Gäste nicht nur Haxe und Bier – das natürlich auch”, beschreibt Martin Glaab, Sprecher vom Kloster Andechs. „Darüber hinaus vermitteln wir ihnen aber einen Eindruck davon, was Leib und Seele noch zusammenhält.” Das Gespräch mit den Gästen ist den Wirten wichtig. „Die spirituelle Botschaftertätigkeit überlassen wir aber den Mönchen und klerikalen Mitgliedern”, schränkt Staiger ein.

Die Gastronomiekette zahlt sich aus. „In Städten mit Wirtshaus steigt unser Bierabsatz im Handel im Schnitt um 50 Prozent”, freut sich Staiger. Die Andechser Brauerei steigerte vergangenes Jahr den Ausstoß um 15 Prozent auf 115.000 Hektoliter und beim Fassbier um 18 Prozent. Der Fassbieranteil stieg – gegen den Branchentrend – von 20 auf 32 Prozent.

Die Klosterbrauerei Neuzelle GmbH übt den Spagat zwischen Tradition und Innovation. 1991 übernahm Helmut Fritsche den ehemals volkseigenen Betrieb der DDR von der Treuhand. Er und Sohn Stefan betrachten ihr Unternehmen als Spezialanbieter. Mit 70 Prozent der 40.000 Hektoliter jährlich ist der „Schwarze Abt” die Stammarke – traditioneller Zweig der Brauerei. Innovativ geht man bei Misch- und Spezialbieren zu Werk. Zweitstärkste Marke ist mit 25 Prozent das Kirschbier. Unter den 25 Sorten sind auch Malzbier, Bock und Pils.

Immer wieder eckt die Brauerei an. Einen Sturm im Bierglas entfachte sie im Januar auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin. Zankapfel war das neue Anti-Aging-Bier. Es enthält als Zusatz unter anderem Sole, pflanzliche Auszüge und die Süßwasseralge Spirulina. Die Branche schäumte. „Brauer-Rebell kippt Algen ins Bier” titelte Spiegel Online. Im Februar untersagte das Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg, das Gebräu als Bier zu vertreiben. „Wir werden das trotzdem machen”, trotzt Stefan Fritsche.

Für den „Schwarzen Abt” verbot der ehemalige Landwirtschaftsminister Edwin Zimmermann wegen des Zuckerzusatzes die Bezeichnung Schwarzbier. „Er meinte, das sei kein Bier”, empört sich Fritsche. Das Verwaltungsgericht in Frankfurt an der Oder schloss sich dem Ende vergangenen Jahres an (Urteil: 4K1287/97). Ließ aber die Sprungrevision direkt zum Bundesverwaltungsgericht zu. Von der wollen Fritsches Gebrauch machen und notfalls vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. „Das Gesetz lässt Abweichungen vom Reinheitsgebot für speziell gebraute Biere zu”, erläutert Fritsche. Doch im Biersteuergesetz, das das Reinheitsgebot von 1516 umfasst, gebe es eine weitere Klausel, die Zusätze verbiete, zürnt er. „Das eine hebt das andere auf.”

Dederichs vom Brauer-Bund betrachtet die Auseinandersetzungen als Marketing. „Alle Brauereien halten sich an die Gesetze”, ärgert er sich, „nur eine kleine Brauerei in Neuzelle hält das nicht für nötig.” Dass die Aufmerksamkeit dem Unternehmen nützt, streitet Fritsche nicht ab. Das sei aber nicht der Zweck der Sache. Fritsches sehen sich in der Rolle des Streiters für die Belange der kleinen Brauereien. Gerade die, die etwas ausprobieren, sind durch die Rechtsprechung am stärksten benachteiligt”, klagt Stefan Fritsche. Sie würden ihrer Chancen beraubt und gegenüber ausländischen Brauereien benachteiligt. Für Importbier gelten die Vorschriften nicht.

Neben der Aufmerksamkeit brachten die Auseinandersetzungen außerdem eine geschäftsträchtige Idee. Auf die stießen die Fritsches durch den Besuch eines ZDF-Teams während der Affäre Schwarzer Abt. „Wir haben gesagt: Bier ist Bier, wenn es so schmeckt, riecht und aussieht”, fasst Fritsche zusammen. Das Landwirtschaftsministerium war anderer Ansicht. “Also haben wir überlegt, was man noch damit machen kann.” Zum Beispiel drin baden.

„Mein Vater und der Journalist haben für den Beitrag die Loriot-Szene in der Badewanne nachgespielt”, erinnert sich Fritsche. Heute wird das Badebier in Fässern an die sächsischen Staatsbäder geliefert und in Magnum-Flaschen an Apotheken. „Und das beste ist”, grinst Fritsche. “Es enthält keinen Zucker und ist streng nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut.”

Doch wieder gab es Probleme. In Gestalt der Frage: Ist es ein Lebensmittel oder Kosmetik? „Es ist der einzige Badezusatz, den man trinken kann”, antwortet Fritsche. Für so etwas haben Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium keine Regel. Daher ist das Bier laut Apothekenbetriebsordnung nicht zugelassen. Über die Theke reichen die Pharmazeuten es trotzdem.

„Was nicht verboten ist, ist erlaubt”, beharrten die gern als Asterix und Obelix der Branche bezeichneten Brauer. Und setzten sich durch.

Kasten Übernahmekampf: Eine Chronik

August 1999: Die Hamburger Brauerei Holsten beteiligt sich mit 27,2 Prozent an der Licher Privatbrauerei

Februar 2000: Holsten schluckt die Duisburger König-Brauerei

Oktober 2000: Die sauerländische Privatbrauerei Veltins steigt mit 35 Prozent beim fränkischen Weizenbier-Brauer Gebrüder Maisel ein.

Februar 2001: Der niederländische Brauereikonzern Heineken und die Bayerische BrauHolding der Münchner Schörghuber-Gruppe gründen das Gemeinschaftsunternehmen Brau Holding International AG. An dem Joint Venture hält Heineken 49,9 Prozent und die BrauHolding 50,1.

Juli 2001: Der belgische Brauereikonzern Interbrew übernimmt 80 Prozent der Anteile an der Diebels GmbH & Co. KG. Diese verliert nach 123 Jahren ihre Selbstständigkeit.

Januar 2002: Die Bitburger Gruppe übernimmt Minderheitsanteile von 48,97 Prozent an der ostdeutschen Wernesgrüner Brauerei AG. Später erhöht sie den Anteil auf 63 Prozent.

Februar 2002: Interbrew kauft die Bremer Traditionsbrauerei Beck & Co für rund 1,79 Milliarden Euro.

Juni 2002: Die Brau Holding International AG (Heineken und Schörghuber) steigt mit einer Kapitalerhöhung zu 45 Prozent bei der Brauerei Karslberg ein.

Dezember 2002: Interbrew kauft für 491 Millionen Euro die Gilde-Gruppe in Hannover.

Juli 2003: Die Dortmunder Brau und Brunnen AG kauft Tucher Bräu aus Nürnberg.

September 2003: Interbrew kauft Spaten und wird größter Brauer Deutschlands.

Dezember 2003: Die zur Bielefelder Oetker Nahrungsmittel KG gehörende Radeberger-Gruppe steigt bei der Stuttgarter Hofbräu ein. Für den 50-Prozent-Anteil fließen 60 Millionen Euro.

Januar 2004: Carlsberg übernimmt Holsten. Die Holsten-Marken Licher und König gehen für 470 Euro an Bitburger.

Februar 2004: Oetker übernimmt Brau und Brunnen (Jever, Tucher, Berliner Pilsner, Sion Kölsch, Schlösser) in Dortmund.

Diese Strategien sind interessant

  • Premium-/Markenstrategie: Beim Preiskampf können kleine und mittlere Brauereien nicht mithalten. Bei dem schrumpfenden Markt wird die Chance darin liegen, (wieder) höhere Erträge zu erwirtschaften.
  • Gastronomie: Bei den Umsatzeinbrüchen in der Gastronomie ist diese Strategie mit Vorsicht zu genießen. Zur Bindung an eine starke Marke ist sie gut geeignet. Und auch kleinen Brauereien bietet sie zunehmend Chancen. Denn die Bindung der Wirte an eine Brauerei bröckelt, der Fassbieranteil geht dadurch zurück. Mit der zunehmenden Sortenvielfalt in den Kneipen steigt der Flaschenbieranteil. So lassen sich kleine und wechselnde Mengen leichter absetzen.
  • Immobilien: Viele Brauereien besitzen wertvolle Innenstadtgrundstücke und -immobilien. Dass Brauereien in der Stadtmitte sitzen, ist nicht mehr unbedingt zeitgemäß. Vielleicht lässt sich der Braubetrieb verlagern und die Immobilie wirtschaftlich sinnvoller nutzen.
  • Dienstleistungen rund um das Bier: Kleine und mittlere Brauereien könnten ihr Know-how als Berater zur Verfügung stellen. Sie kennen ihre Region am besten. Daraus können sie als Berater für Brauereien aus anderen Regionen Nutzen ziehen. Sie können sich auch den Trend zu Erlebnisgesellschaft zunutze machen und Veranstaltungen, Events und Catering oder thematisch zur Marke passende Reisen anbieten. Oder sie können – nach dem Vorbild des ehemaligen Kaffeerösters Tchibo – Produkte ins Sortiment nehmen, die nicht direkt mit Bier zu tun haben.
  • Export: Es muss nicht immer der Export nach Amerika sein – es kann auch nur Florida oder New York sein. Zu guten Preisen kann sich der Export auch kleiner Mengen lohnen. Export kann für manche Marken auch als Bestandteil einer PR-Strategie sinnvoll sein – in Urlaubsregionen als “Stück Heimat” etwa.
  • Kooperation/Partnerschaft: Diese Möglichkeit steht kleinen und mittleren Brauereien offen. Für kleine Brauereien bieten sich vielfältige Möglichkeiten beim Vertrieb, bei der Abfüllung, bei elektronischen Marktplätzen oder auch mit Handel und Gastronomie. Für mittlere Brauereien bietet es sich als Abwehrstrategie gegen eine mögliche Übernahme an, sich mit einem gleich starken Partner zu verbünden. Wirkliche Vorteile bringt eine solche Kooperation aber nur, wenn nicht zu sehr auf Unabhängigkeit gepocht wird und die Partner gut zueinander passen.
  • Verkauf: Diese Option steht vor allem mittleren Brauereien offen, die gut positioniert und stark im Vertrieb sind. Sie sollten diese Option aber früh in Erwägung ziehen – beim Spiel auf Zeit haben Großbrauereien und Brauereigruppen bessere Karten. Im Ausnahmefall könnten sich größere Brauereien auch für den Kauf attraktiver kleiner Brauereien interessieren. Mangels Masse sind die Kleinen grundsätzlich aber kaum interessant.
  • Schließung: Zahlreiche Brauereien leben von der Substanz. Für sie ist es unter Umständen am sinnvollsten, den Betrieb rechtzeitig zu schließen – also nicht erst, wenn die letzte Immobilie verkauft ist. Die Strategie sollte dann darauf zielen, das Familienvermögen soweit wie möglich zu erhalten.

Kasten Grafik
Zahl Brauereien nach Bundesländern und / oder Bierabsatz nach Bundesländern.

Branchencheck bei heute.de

Die Reihe Branchencheck habe ich 2006 für die Wirtschaftsredaktion von heute.de verfasst.