Throwback-Friday: Lobbyisten für den Mittelstand – in Markt und Mittelstand 11/2005

Passend zur Jahreszeit habe ich mal eine Geschichte herausgesucht, die ich vor einigen Jahren für Markt und Mittelstand geschrieben habe. Sie ist erschienen in der Ausgabe 11/2005. Damals war ich schon mal einige Jahre lang regelmäßig für MuM tätig. Und damals wie demnächst auch wieder sortierte sich gerade die frisch gewählte Bundesregierung neu. Es ging um die Frage, wie Mittelständler mit Politik in ihrem Sinne umgehen sollten.

Vieles davon dürfte auch heute noch interessant sein – und sei es als Dokument der Zeitgeschichte.

Lobbyisten für den Mittelstand

In Berlin rotiert das Personalkarussell. Den Wechsel von Entscheidungsträgern
sollten Mittelständler nutzen, um sich in der Bundespolitik Gehör zu verschaffen.
Denn Lobbyismus ist nicht nur etwas für Konzerne.

von Midia Nuri

Im Bundestag und den Berliner Behörden regiert derzeit die Hektik. Bis etwa Ende November werden die parlamentarischen Ausschüsse, die Sprecherposten der Fraktionen sowie wichtige Stellen in den Ministerien neu besetzt. Damit wechseln auch die Ansprechpartner für die rund 5000 Lobbyisten in der Bundeshauptstadt. 1886 Verbände sind offiziell beim Bundestag registriert. Hinzu kommen rund 40 auf Politik spezialisierte PR-Agenturen sowie noch mal soviele Anwaltskanzleien. Schätzungen zufolge kommen auf einen Parlamentarier 25 Interessenvertreter.

Den meisten Lobbyisten eilt dabei ein schlechter Ruf voraus. Schuld sind Bestechungsskandale wie der um den Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber oder die Affairen um Ex-Verteidigungsminister Rudolph Scharping (SPD) und den Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir (Grüne), die beide wegen zu großer Nähe zu dem umstrittenen PR-Berater Moritz Hunzinger ihre politische Karriere beenden mußten.

Doch diese Fälle sind nicht repräsentativ. „Das sind Auswüchse des Geschäfts, die mit seriösen Public Affairs nichts zu tun haben“, urteilt Thorsten Hofmann, Geschäftsführer von PRGS ECCO in Berlin. Public Affairs sind für den Lobbyisten weit mehr als die Pflege von Kontakten zu Politikern. Vielmehr gehe es darum, aus Sicht eines Unternehmers zu sondieren, welche politischen und öffentlichen Faktoren sich auf sein Geschäft auswirken könnten und daraus eine Strategie zu entwickeln, mit der sich mögliche Risiken abwenden lassen. Public Affairs seien somit eine Art des Risikomanagements.

„Als erstes klären wir gemeinsam mit dem Kunden, welche politischen und gesellschaftlichen Risiken für ein Unternehmen vorhanden sind und wie dessen gesellschaftliche Akzeptanz ist“, erklärt Hofmann. Sind diese Faktoren benannt, wird festgelegt, welche Entwicklungen beobachtet werden müssen. „Wir prüfen, ob sich in
einem Arbeitskreis, einer Partei oder der Regierung etwas tut, was das Unternehmen betreffen könnte. Schließen sich Abgeordnete zusammen, um zu einem wichtigen Thema etwas auf den Weg zu bringen? Zeichnen sich Tendenzen in der öffentlichen Meinung ab?“, erläutert Hofmann. In regelmäßigen Abständen gibt es eine Zusammenfassung sowie eine Bewertung.

Der Questico AG hat ein derartiges Monitoring 2003 die Existenz gerettet. Während die Öffentlichkeit gerade mal in ein paar Presseartikeln von dem geplanten Lebensbewältigungsgesetz erfuhr, wirbelte das Gesetzesvorhaben der CDU/CSU-Fraktion bei der Berliner Expertenvermittlungsplattform im Internet eine Menge Staub auf. „Hätte sich die Union mit ihrem Vorhaben durchgesetzt, hätten unsere Kunden
noch bis zu sechs Wochen nach dem Erbringen der Dienstleistung das Honorar zurückbuchen können“, empört sich Vorstandsvorsitzender Sylvius Bardt. Als Hofmann den Unternehmer von dem Gesetzgebungsvorhaben informierte, fragte sich Bardt zunächst nur: „Kommt das Gesetz? Muß ich meinen Laden jetzt zumachen?“

Doch die Mühlen der Politik mahlen langsam. Es gibt viele Interessen und noch mehr Beteiligte, die in das Verfahren involviert sind und darauf Einfluß nehmen können: Regierung, Fraktionen, Parteien und Parteiflügel, Verbände und Bürgerinitiativen, Ausschußmitglieder und -vorsitzende sowie nicht zuletzt verwandte Branchen, Zulieferer und die Konkurrenz. „Die gesellschaftlichen und politischen Bezugsgruppen
unterteilen wir in der so- genannten Stakeholder-Analyse zunächst in Freunde und Gegner. Zusätzlich bewerten wir ihre Macht und die Verbindung zueinander“, erläutert Hofmann. Mit dieser „Landkarte“ in der Hand sucht der Public- Affairs-Experte das Gespräch mit den verschiedenen Gruppierungen.

Für Questico führte Hofmann mehr als 40 Gespräche. Bei etwa einem Drittel war auch Bardt mit dabei. „Wir haben über unser Unternehmen und unser Geschäftsmodell aufgeklärt und erläutert, was die geplante Gesetzesänderung bewirken würde“, erläutert der Chef des 35-Mann-Betriebs. Die persönliche Präsenz des Unternehmers sei oft unerläßlich, erläutert Hofmann: „Das eigene Unternehmen und sein Geschäftsmodell präsentiere nun mal niemand überzeugender als der Chef selbst.“ Der Lobbyist selbst leiste als Interessenvertreter vor allem die inhaltlich-fachliche Überzeugungsarbeit und unterbreite konstruktive Vorschläge.

Eine eigens beauftragte Anwaltskanzlei setzte im Auftrag Questicos außerdem einen
Gegenvorschlag für das Gesetz auf. „Einige Bundesländer haben diesen aufgegriffen“, freut sich Mittelständler Bardt. Nach anderthalb Jahren intensiver Lobbyarbeit lehnte der Bundesrat das Lebensbewältigungsgesetz im Oktober vergangenen Jahres schließlich ab. Ein enormer Erfolg für Questico.

„Berlin ist zwar wichtig, doch vieles, was die Geschäftsbedingungen von Unternehmen
unmittelbar beeinflußt, spielt sich auf regionaler Ebene ab“, gibt Marco Althaus zu bedenken. Der Politikwissenschaftler ist Vorsitzender des Deutschen Instituts für Public Affairs (DIPA) in Berlin. Das gesamte Planungs- und Baurecht etwa und damit die Rahmenbedingungen für den Bau einer zusätzlichen Halle, einer neuen Zufahrt oder eines neuen Werks würden lokal geregelt. Ebenso die Vergabe vieler Fördermittel. Die Berliner Verbände sind zu weit weg, um ihre Mitglieder in entsprechenden Angelegenheiten effizient zu vertreten. „Wer Public Affairs auch auf dieser Ebene betreibt, ist keineswegs provinziell, er handelt vielmehr professionell und stellt sich den Notwendigkeiten“, folgert Althaus.

Wie wichtig der Lobbyismus vor Ort ist, hat der Spieleverlag Ravensburger AG schmerzhaft erfahren. Bis Ende der 90er Jahre galt das Unternehmen mit seinen rund 1500 Mitarbeitern als Traditions- und Vorzeigeunternehmen. Bürger und Stadtverwaltung der 50 000 Einwohner zählenden oberschwäbischen Stadt waren stolz auf den großen Arbeitgeber und Sympathieträger. Dann versetzte der Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband die regionalen Medien in Unruhe. „Die Umstrukturierung des Spieleverlags und die Schließung eines Werks in Frankreich schadeten dem Image zusätzlich“, erinnert sich Kommunikationschef Heinrich Hüntelmann. Das erfolglose Multimedia- und New-Economy-Engagement der Firma und der Rückzug der Eigentümerfamilie aus dem operativen Geschäft ergänzten das Bild von einem Unternehmen, das sich auf dem absteigenden Ast befindet.

Die Pressestelle ließ sich in ihrer produktorientierten Öffentlichkeitsarbeit zwar nicht beirren. Die Produkte verloren daher auch nicht an Image, und das Unternehmen legte bei Umsatz und Gewinn weiter zu. Als jedoch der unternehmenseigene Freizeitpark Ravensburger Spieleland eine Veränderung im Bebauungsplan beantragte, tat sich der Gemeinderat mit einer Entscheidung im Sinne des Unternehmens überraschend schwer. Ravensburger sei in seinen nächsten Ausbauschritten nicht einzuschätzen, teilte er als Begründung für seine Ablehnung des Antrags mit. „Für das Mutterhaus war das eine herbe Enttäuschung“, erinnert sich Unternehmenssprecher Hüntelmann.

Eine ehemalige Praktikantin untersuchte daraufhin im Rahmen einer Diplomarbeit, welche Möglichkeiten der Einsatz von Public Affairs Ravensburger bot. Aus Interviews mit 30 regionalen Entscheidern aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Medien leitete Hüntelmann 2002 seinen Strategiewechsel ab. Ravensburger bot den Befragten Gespräche über die künftige Zusammenarbeit an. Gemeinsam loteten Politiker, Beamte und das Unternehmen aus, wie sich Ravensburg als Stadt der Spiele positionieren kann.

Der Erfolg der Gespräche kann sich sehen lassen: Das Museum der Stadt und das des Spieleproduzenten kooperieren seither. Die Stadt hat Betriebsführungen beim Spieleverlag in ihr Tourismusprogramm integriert. „Als Parkmünzen fungieren in Ravensburg heute Memory-Kärtchen“, freut sich Hüntelmann. Zahlreiche positive Rückmeldungen lassen Hüntelmann hoffen, daß die Stadt bald erneut über den Bebauungsplan entscheidet – diesmal im Sinne des Unternehmens. Auch eine bessere Beschilderung zum Spieleland oder Unterstützung bei der Vermietung leerstehender Verlagsgebäude schließt der Kommunikationsprofi nicht aus. Konkrete Erfolge gibt es zwar noch nicht. „Aber Stimmung und Signale sind deutlich besser“, sagt Hüntelmann. «

Kasten: Public Affairs: So finden Sie den passenden Lobbyisten

Public Affairs können Sie durch interne oder externe Berater erledigen lassen. Bei Mittelständlern kann oft die Pressestelle des Unternehmens diese Aufgabe mit bernehmen. In stark regulierten Branchen ist oft auch die Regulierungs- oder Rechtsabteilung verantwortlich. Allerdings sind die Kosten für festangestellte Lobbyisten sehr hoch. Deshalb lohnt sich in den meisten Fällen der Einsatz eines externen Beraters. Auf folgende Punkte sollten Sie bei der Auswahl eines Lobbyisten achten:

Qualifikation Lassen Sie sich den Arbeitsstil des Beraters erklären und prüfen Sie, ob er zu Ihnen paßt. Bei einfachen Konzepten sollten Sie mißtrauisch werden. Der Lobbyist sollte politische Prozesse und die Berliner Behörden von innen kennen.

Case Studies Lassen Sie den Berater im vertraulichen Gespräch von Fällen berichten, die er bereits betreut hat. Verweigert er dies, sollten Sie skeptisch werden.

Unabhängigkeit Fragen Sie nach der Parteizugehörigkeit und schätzen Sie ab, ob diese Ihrem Projekt dienlich ist. Je mehr ein Berater hinterfragt, desto besser. Mit einem Ja-Sager ist Ihnen nicht geholfen.

Kontakte Bei Agenturen ist die Zahl der Kontakte meist größer, als bei einem Festangestellten. Auch die verschiedenen politischen Ebenen – Bund, Länder, Regionen sowie Brüssel – können meist eher abgedeckt werden. Aber lassen Sie sich nicht blenden. Wer vorgibt, alle Politiker zu kennen, ist suspekt – vor allem nach einer Wahl. Haken Sie nach, wie Zugang geschaffen werden soll und mit welcher Taktik an die Entscheidungsträger herangegangen wird.

Kosten Ein Monitoring bei einer Agentur kostet monatlich 2000 bis 3000 Euro. Stundensätze von 80 bis 400 Euro – je nachdem, ob Assistent oder Geschäftsführer tätig werden – gelten als marktübliche Spanne. Seriöse Berater schlüsseln auf, mit wem und zu welchem Ziel sie Gespräche führen und weisen dabei auch die Stunden für Vor- und Nachbereitung aus.

Interview: Verstehe deine Gegner

MuM: Hat der Mittelstand überhaupt eine Chance, sich gegen die Lobbyisten
der Konzerne durchzusetzen, Herr Althaus?

Althaus: Der Mittelstand hat gar keine andere Wahl, als es zu versuchen und sich mit dem Thema zu beschäftigen. Es geht ja nicht in erster Linie um einen Kampf groß gegen klein, sondern darum, die eigenen Interessen zu wahren. Public Affairs sind eine Art kontinuierliches Management der Risiken, die von politischer und gesellschaftlicher Seite drohen.

MuM: Ist das nicht die Aufgabe der Verbände?

Althaus: Zum Teil sicher ja. Der Mittelstand wird die Verbände auch trotz Public Affairs noch brauchen. Aber Verbände vertreten kumulierte Interessen. Da fallen zahlreiche Unternehmen mit ihren Einzelinteressen unten durch. Außerdem helfen Verbände zwar
auf Bundesebene, aber nicht vor Ort.

MuM: Gerade Mittelständler halten zumeist seit Jahren gute Kontakte zu ihrem direkten sozialen Umfeld. Sie unterstützen Sportvereine, engagieren sich in Verbänden oder unterstützen soziale Projekte. Was sollen Sie denn noch tun, um sich beliebt zu machen?

Althaus: Die verschiedenen Kanäle bespielen kleine Firmen in der Tat oft hervorragend. Zumeist machen sie das jedoch ohne jede Systematik. Außerdem fehlt ihnen bisweilen der Blick für die relevanten Risiken. Wenn dann ein Problem auftaucht, geschieht das meist aus heiterem Himmel. Dann rächt sich, daß sie die öffentliche Meinungsbildung
aus dem Auge verloren haben.

MuM: Ein Lieblingsgegner ist für viele Mittelständler die Bürokratie. Was können Public Affairs hier bewirken?

Althaus: Um auf Ämtern etwas in ihrem Interesse bewirken zu können, müssen Unternehmer verstehen, wie Beamte ticken. Viele schimpfen gern, ohne zu gucken, warum ein Bürokrat etwas tut. Deshalb muß der Unternehmer das Gespräch mit den Behördenvertretern suchen. Die Frage ist: Kann der Beamte nicht anders oder will er nicht? Wenn er nicht kann, gibt es unter Umständen die Chance, eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen. Unternehmer können auch nach einem möglichen Koalitionspartner suchen, der ebenfalls ein Interesse daran haben könnte, daß das Problem gelöst wird.

MuM: Wie reagieren Mittelständler, wenn sich die öffentliche Meinung vor Ort gegen sie wendet und beispielsweise die Lokalzeitung alle paar Tage eine Kolumne gegen sie schreibt?

Althaus: Vielleicht hat die Firma Fachinformationen zum Thema, die ihre Position stützen, und die sie den Redakteuren anbieten könnte. Sie sollte auch den Kontakt zu betreffenden Bürgerinitiativen suchen. Wichtig ist, daß der Firmenchef in einen echten
Dialog eintritt. Daher sind Kontakte und Einfluß bei Public Affairs nicht alles. Die Devise lautet vielmehr: Verstehe deine Gegner.

Marco Althaus

ist Vorsitzender des Deutschen Instituts für Public Affairs, DIPA, in Berlin. Althaus hat Politologie studiert und zunächst als Pressesprecher im niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr gearbeitet. Später war Althaus Redakteur bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sowie der „Neuen Presse“ in Hannover.