Throwback-Thursday: Ein Muttertag in der WAZ

Während meines Studiums der Erwachsenenbildung (Diplom-Pädagogik) habe ich mich mit einigen Themen aus der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Jugendbildung, Freizeitangebot und Unterhaltung sowie deren Funktion waren ein wichtiges Thema, Widerstand Jugendlicher (Edelweißpiraten, Meuten, Swing) und Erinnerungen damals jugendlicher Zeitzeugen ein anderes.

Auch privat hat mich das Thema beschäftigt und so hab ich damals auch einiges über die Lebensbornheime und den Mutterkult der Nazis erfahren. Ein Beitrag von mir hierzu ist im ich glaube Wochenendteil der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) erschienen, zu Muttertag 2003 – also irgendwann im Mai.

Gebären als Staatsleistung

Die Verleihung der Mutterkreuze war Höhepunkte des nationalsozialistischen Mutterkultes. Am Muttertag vor 64 Jahren wurde der Orden zum ersten Mal verliehen.

Mutterschaft war für die Nationalsozialisten Staatsaufgabe. Sie war gleichrangig mit dem Kampf der Soldaten und trug ihren Teil zum Krieg bei, dem – so sahen es die Nazis – „Geburtenkrieg gegen die Minderwertigen und Fremdrassigen“. Und so sah das Mutterkreuz auch aus.

Auf der Vorderseite waren das Hakenkreuz eingraviert sowie der Spruch „Der Deutschen Mutter“. Auf der Rückseite die gestanzte Unterschrift Hitlers und der Satz: „Das Kind adelt die Mutter.“ In Form und Gestaltung glich es dem Eisernen Kreuz, dem höchsten Kriegsorden. „Wer nicht weiß, dass es ein Mutterkreuz ist, hält es auf den ersten Blick für eine militärische Auszeichnung“, findet Horst Matzerath, Leiter des Kölner NS-Dokumentationszentrums.

Gestiftet im Dezember 1938, wurde das Verdienstkreuz für Vielgebärerinnen am Muttertag vor 64 Jahren zum ersten Mal verliehen. Deutsche Frauen mit mehr als vier Kindern sollten es erhalten – als „Auszeichnung für Verdienste um das deutsche Volk“.

Kinderlose Ehepaare waren den Nazis suspekt. „Heilig soll uns sein jede Mutter deutschen Blutes“, tönte die Propaganda. 1934 schrieb die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung: „Wer nur ein Kind hat, ahnt nichts von der Glücksfülle, die sieben Kinder bieten.“ Dabei ging es den Ideologen nicht um das Glück der Mütter. Die Frauen hatten ihrer biologischen Pflichterfüllung nachzukommen: der Produktion arischen Nachwuchses. Das Volk werde sonst an Überalterung zugrunde gehen, fürchteten die Nazis.

Drei Stufen von Mutterkreuzen gab es. Ab vier Kindern gab es Bronze, ab sechs Kindern Silber, und ab dem achten Kind wurde Gold verliehen. Voraussetzung: Die Eltern mussten – so die Bestimmung –, „deutschblütig“ sein und die Mutter des Ehrenkreuzes würdig. Was das bedeutete, konnten die Beamten zum Teil selbst bestimmen. Einige lehnten Mütter ab, weil sie rauchten. Auch alkoholabhängige oder langfristig arbeitslose Väter konnten der Grund für eine Ablehnung sein.

Für viele Frauen wurde das Kreuz zur begehrten Auszeichnung. Viele forderten es sogar offensiv ein. Selbst Verwandte schrieben direkt an Hitler. So drängte etwa 1940 ein Mann, endlich seine 71-jährige Schwiegermutter mit dem Kreuz zu ehren: „Nun hatte sie bestimmt mit der Verleihung des Ehrenkreuzes des Führers gerechnet“, schrieb er. „Leider wurde ihre größte Weihnachtsfreude ihre größte Enttäuschung. ‘Bin ich oder sind meine Kinder nicht so gut wie andere?’, ist ihre enttäuschte Frage.“

Doch die Nazis wollten das Mutterkreuz nicht als Anrecht bei erbrachter Leistung verstanden wissen. Die Reichsleitung des Rassenpolitischen Amtes wies 1939 darauf hin, dass die biologische Leistung „eben nicht nur in der Zahl, sondern auch in dem Wert der Kinder“ bestehe.

Frauen, die nicht dem Idealbild der deutschen Mutter entsprachen, konnte der Mutterkult zum Verhängnis werden. So wurden im Rahmen der „Würdigkeitsprüfung“ zahlreiche Daten erhoben. Über Einkommen, Suchtkrankheiten sowie geistige und körperliche Behinderungen in der Familie wollten die Nationalsozialisten informiert sein. Unterschrieben werden musste jedoch die „Deutschblütigkeitserklärung“. Wer also das zugestellte Formular einfach nicht unterschrieb, machte sich sofort verdächtig. Wurde eine Mutter nach der Prüfung als unwürdig eingestuft, blieb sie bestenfalls ungeehrt aber unverfolgt. Im schlimmsten Fall konnte die Ablehnung aber auch Verfolgung, Zwangssterilisation und Tod bedeuten.

Die Mutterkreuzanträge waren für die Nationalsozialisten ein effektives Mittel der Kontrolle. Die Bevölkerungspolitik war Kern nationalsozialistischer Politik. Der NS-Rassehygieniker Fritz Lenz formulierte es so: „Es geht hier um einen wirklichen Krieg im Sinne eines Großkampfes der ganzen Gemeinschaft gegen die Gefahr des Niedergangs und der Volkszerstörung.“ Die Mutterschaft war damit zur Kriegshandlung erklärt.

Wie wichtig das Mutterkreuz den Propagandisten war, zeigte sich spätestens 1944. Wegen des Krieges wurden damals alle öffentlichen Ehrungen eingestellt – mit Ausnahme der Kriegsorden und Mutterkreuze. Gleichzeitig erreichte der Kult seinen makabren Höhepunkt. Auch verstorbene Mütter konnten nun geehrt werden. Das Mutterkreuz nahmen in dem Fall Hinterbliebene in Empfang. Und waren unter den Kindern der Verstorbenen Söhne, waren diese womöglich längst im Krieg gefallen.